Der individuelle bewusst zugelassene freie Atemfluss – ein Grundpfeiler der Methode CoreWork®

Durch einen Einatem nehmen wir bei der Geburt Kontakt mit dieser Welt auf – mit einem Ausatem verlassen wir sie wieder. Dazwischen atmet es während unserem Leben pausenlos ein und aus – mal etwas schneller, mal langsamer. Es gibt Lebenssituationen, die uns den Atem rauben. Manchmal «verschlägt» es uns den Atem und es gibt Situationen bei denen wir die Luft für einen Moment anhalten. In Momenten der Entspannung und Ruhe, lassen wir jedoch einen tiefen Seufzer aus unserem Körper ausströmen.

Die Atmung ist ein physiologischer Vorgang, der grundsätzlich ohne unser willentliches Zutun funktioniert. Ihn jedoch nur auf den Gasaustausch der Lungen zu reduzieren, greift zu kurz. Das Atemgeschehen drückt nicht nur unsere physische Befindlichkeit aus, es zeigt auch unser seelisch-geistiges Befinden im Aussen und die Art und Weise wie wir das eigene Sein erfahren und erleben.

Das Atemgeschehen – ein wichtiges Instrument in der Bewegungs- und Körperarbeit

Das Atemgeschehen wird dadurch ein wunderbares Instrument, welches in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen in der Bewegungs- und Körperarbeit miteinzubeziehen gilt. Unter diesem Aspekt ist die Arbeit am und mit dem individuellen bewusst zugelassenen freien Atemfluss in der Arbeitsweise von CoreWork® sehr zentral.

In einem ersten Schritt der Umsetzung bedeutet dies eine Auseinandersetzung mit den anatomisch-physiologischen Grundlagen der Atmung und einer differenzierten Kenntnis derselben. Wird in der Bewegungs- und Körperarbeit gezielt eine funktionell-ökonomische Körperaufrichtung und ein funktionell-ökonomisches Bewegen angestrebt, so muss das Atemgeschehen unbedingt zentral miteinbezogen werden – nicht in Form einer Atem-Technik, sondern über die behutsame Arbeit mit und am individuellen bewusst zugelassenen freien Atemfluss.

Ausrichten über das Skelett führt zu einer freieren Zwerchfellbewegung

Die Qualität des Atemgeschehens wird bestimmt durch den Spannungszustand des Zwerchfells. Und das Atemgeschehen wiederum beeinflusst unmittelbar den Spannungszustand im ganzen Körper.
Ob nun Veränderungsprozesse der Spannungsverhältnisse im Körper hin zum funktionell-ökonomischen Körpergeschehen in Gang kommen können oder nicht, ist deshalb massgeblich vom Atemgeschehen abhängig. Dabei rückt die «Ausrichtung über das Skelett» in der Bewegungs- und Körperarbeit in den Fokus und damit verbunden die Erarbeitung der anatomischen Becken-Mittelposition.
Je mehr sich der Körper in seiner Ausrichtung einer anatomischen Becken-Mittelposition annähern kann, desto freier kann das Zwerchfell schwingen und sich im Moment der Ausatmung entspannen. Der Atemfluss wird ruhiger, feiner und der Moment einer Atemruhe kann entstehen.
Obwohl die Atmung willkürlich beeinflusst werden kann, unterliegt sie letztendlich einer weitgehenden Autonomie («Steuerung» aus dem Atemzentrum im verlängerten Rückenmark). Über das Zulassen der Atemruhe, kann der Körper seinem individuellen Atemrhythmus näherkommen. Der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid wird ökonomischer und die Annäherung an das funktionell-ökonomische Körperverhalten kann greifen.
Hierbei zeigt sich immer wieder die grosse Herausforderung, in eine beobachtende Haltung zu finden, ohne den Atem zu steuern. Es braucht eine feine Wahrnehmung und eine mentale Wachheit, die Aufmerksamkeit kontinuierlich an den Punkt im Körper zu navigieren, wo sich das Ausrichten über das Skelett und der Atemfluss komplementär ergänzen – das Atmen jedoch nicht «gemacht» wird.

«Ein Mensch soll nicht über den Willen seinen Atem beherrschen, sondern gemeint ist ein Umgehen mit dem Atem, eine Beziehung zu ihm herstellen und schaffen. Sich führen lassen, geführt werden – im engen Kontakt mit dem Atem den Atem führen.» (Zitat Cornelis Veening, 1895 – 1976, NL)

Wir entwickeln im Laufe unserer Lebenszeit unseren ganz persönlichen Atemrhythmus. Diese Art zu Atmen gehört zu uns, wie die Handschrift oder die Art zu sprechen. Der Atem zeigt und gestaltet laufend in äusseren Bewegungen die innere Befindlichkeit des Menschen.
Dabei stützt sich CoreWork® auf die folgenden Definitionen von Atem und Atmung: «Den Begriff des Atems benutzen wir in unserer Arbeit in Abgrenzung zum biologischen Begriff der Atmung. Die Atemarbeit hat nicht in erster Linie die Verbesserung der physiologischen Atmungsfunktion zum Ziel, wenngleich eine solche häufig auch erreicht wird. Der Begriff Atem soll verdeutlichen, dass es sich dabei um ein Phänomen handelt, das sowohl die physiologischen, also körperlichen, als auch die seelischen und geistigen Bereiche des menschlichen Daseins berührt.» (Zitat Fischer/Kemmann-Huber, Der bewusst zugelassene Atem, 1999)

Wie bereits erwähnt, geht es in der Arbeit am und mit dem individuellen freien bewusst zugelassenen Atem nicht um das Erlernen von Atem-Techniken. Es wird auf eine Anleitung verzichtet, zu welchem Zeitpunkt in der Bewegung oder in welchem Rhythmus ein- resp. ausgeatmet werden sollte.  Es gilt viel mehr zu einem feinen, achtsamen Umgang mit sich selbst eine Beziehung zu Körper und Atem herzustellen. Richten wir diese feine Aufmerksamkeit auf den eigenen Atemfluss, führt dies unweigerlich in den Kontakt mit uns selbst. Es entsteht unmittelbar ein Selbstgefühl!

Diese Beziehung zu Körper und Atem ermöglicht eine behutsame Begegnung mit der ganz persönlichen Art zu atmen. Es entsteht eine Begegnung wie sich das eigene Atemverhalten gewohnheitsmässig oder in spezifischen Situationen zeigt. Wie zeigt sich zum Beispiel das Atemverhalten, wenn ich auf einem Stuhl sitze? Wenn ich mich unter Menschen aufhalte? Oder wie ist meine Gewohnheit zu Atmen in spezifischen Situationen, wie beim Gewicht heben? In stressigen Situationen? etc. Dabei kann das Atemverhalten entweder eine vorwiegend «seinsverbindende» Qualität oder aber eine «seinsabwehrende» Funktion haben.

Die Qualität der Wahrnehmung für sich selbst ist vom Spannungszustand des Körpers abhängig. Je höher der Muskeltonus, desto oberflächiger, «gröber» ist die Selbstwahrnehmung. Es kann sogar dahin führen, dass bei hoher Anspannung Körperbereiche nicht mehr wahrgenommen werden können. In einer solchen Situation ist es nur schwer möglich, im Kontakt mit eigenen Bedürfnissen zu sein. Dieses «Abgeschnitten-Sein» drückt sich wiederum unmittelbar und direkt im Atemgeschehen aus. Ein Kreislauf beginnt zu wirken: erhöhte Körperspannung führt zu eingeschränktem Atemverhalten – angespanntes Zwerchfell führt zu erhöhter Körperspannung!

Sich über CoreWork® dem funktionell-ökonomischen Körperverhalten annähern und in den Selbstkontakt finden

Um einen Weg aus diesem Kreislauf herauszufinden, ist eine achtsame und subtile Arbeitsweise gefragt. In der Methode CoreWork® steht die ganzheitliche Sichtweise auf den Menschen im Zentrum. Die Arbeit am und mit dem individuellen bewusst zugelassenen freien Atemfluss, das Ausrichten über das Skelett, die Arbeit an einem Vertiefen und Verfeinern der Wahrnehmung und die Entspannung bei mentaler Wachheit bilden die Grundpfeiler von CoreWork®. Langsamkeit und eine achtsame Haltung in der Arbeit sind weitere grundlegende Aspekte dabei. Nachhaltige Veränderungen anzustreben, braucht Geduld. Erst wenn der Körper das Tempo im Prozess selbst bestimmen kann, ist ein Annähern an das funktionell-ökonomische Körperverhalten wieder möglich.